Während ich diesen Text schreibe, tobt draußen gerade der rheinische Karneval. Nun liegt das Neanderthal zwar im Rheinland, gehört aber doch nicht dazu – jedenfalls in meiner Empfindung. Aber ich will hier gar nicht darüber philosophieren, wie das närrische Treiben auf Außenstehende wirken muss, sondern mich mit einem besonders eigenartigen Phänomen des Karnevals beschäftigen: dem Tusch. In der Bütt reißt ein Narr seine Scherze, und damit das Publikum selbst im alkoholisiertesten Zustand noch mitbekommt, wann es lachen muss (oder darf), gibt die Kapelle jeweils ein akustisches Signal von sich, ähnlich dem Ping im Flugzeug, wenn das Anschnallzeichen aufleuchtet.
Mit meinem Mangel an Kenntnissen der regionalen Sitten stelle ich mir vor, dass an der Wand des Sitzungssaals ein Paragraphenwerk hängt: "Paragraph 17 a: Es darf nur gelacht werden, wenn die Kapelle dies mittels eines Tuschs erlaubt. Paragraph 17b: Wenn die Kapelle einen Tusch spielt, muss gelacht werden. Zuwiderhandlungen werden mit Lachhaft nicht unter zwei Monaten geahndet." Oder so. Vielleicht wurde auch ursprünglich mit einem Funkenmariechen experimentiert, das an vorgegebenen Stellen ein Transparent mit der Aufschrift "Jetzt lachen!" geschwenkt hat. Aber damit wurde der Blick zu sehr von der Bütt abgelenkt, also ist ein findiger Geist darauf gekommen, dass diese Aufgabe die Kapelle übernehmen kann.
Seit einigen Jahren ist jenseits allen Karnevals (und schlimmer noch: jenseits des Rheinlands) ein Phänomen zu beobachten, das mir noch viel merkwürdiger erscheint als alle rheinische Kultur: Auch viele Autoren und Autorinnen scheinen zu glauben, wichtige Aussagen mit einer Art Tusch untermalen zu müssen. Zwar erfolgt das (zum Glück) nicht akustisch, aber dafür optisch. Dabei sollte man doch eigentlich davon ausgehen, dass die durchschnittlichen Leser üblicherweise unter geringerem Drogeneinfluss stehen als die Besucher einer Karnevalssitzung zu fortgeschrittener Stunde.
Einige Beispiele, wie ein solcher geschriebener Tusch aussehen kann, möchte ich Ihnen im Folgenden vorstellen.
Der üblichste Tusch ist wohl das Ausrufezeichen. Selbst in Texten mit wissenschaftlichem Anspruch werden besonders wichtige Aussagen gerne mit einem ! abgeschlossen, ganz abgesehen von Prosatexten, deren Autoren die mangelnde Dramatik ihrer Erzählungen offensichtlich aufpolieren wollen, indem sie jeden einzelnen Satz ausrufen. Auf Internet-Diskussionen, in denen gerne die eigene Meinung herausgebrüllt wird, möchte ich hier gar nicht weiter eingehen.
Besonders exotisch wird der !-Tusch übrigens, wenn in einer Folge von wichtigen Aussagen eine noch wichtigere Aussage getroffen wird. Denn dann bleibt offensichtlich nur die Möglichkeit der Vervielfachung: Solche Sätze erhalten drei (und schlimmstenfalls noch mehr) Ausrufezeichen.
Im professionellen Schriftsatz wird das ! in genau zwei Fällen verwendet: Wie der Name schon sagt, erhält wörtliche Rede, wenn sie gerufen oder geschrien wird, ein solches Satzzeichen: "Hallo! Ist da jemand?" Außerdem kann jeder Imperativ mit einem Ausrufezeichen abgeschlossen werden (muss es aber nicht): Prägen Sie sich diese Regeln unbedingt ein!
Eine Verwendung des ! als optischer Tusch ist nicht vorgesehen, und ich rate auch davon ab. Jeder erfahrene Rhetoriker weiß, dass Diskussionsteilnehmer, die all ihre Argumente nur schreiend von sich geben, als hysterisch empfunden werden und niemand sie ernstnimmt. Wer gute Argumente hat, muss sie nicht schreien – also ist auch die Verwendung eines Ausrufezeichens überflüssig.
Vielleicht sogar noch verbreiteter als das hysterische Ausrufezeichen sind die Denkmalpunkte. Eigentlich stehen die drei Pünktchen als Stellvertreter für etwas bewusst Verschwiegenes oder Weggelassenes. So erhalten abgebrochene Wörter drei Pünktchen (die sich direkt an den letzten Buchstaben anschließen), also zum Beispiel der Sch...-Dreck. Abgebrochene Sätze werden ebenfalls mit drei Punkten abgeschlossen (wobei hier ein Leerzeichen zwischen das letzte Wort und den ersten Punkt gehört).
Manche Autoren möchten offensichtlich den Leser besonders eindringlich dazu auffordern, über die gerade getroffene Aussagen doch bitte nachzudenken. So werden oft hinter vollständige Sätze drei Punkte gesetzt, die als Aufforderung gelten sollen: "Denk mal drüber nach ..." oder "Was aus dieser Aussage folgert, kannst du dir selber denken ..." Mir sind schon Texte untergekommen, in denen jeder einzelne Absatz mit drei Punkten endete.
Wenn ein Leser nicht durch den Inhalt eines Textes zum Nachdenken angeregt wird, dann nützen auch die Denkmal-Punkte nicht – schon gar nicht, wenn sie ständig benutzt werden.
Wer nicht mit Satzzeichen arbeitet, verwendet Formatierungen. Und damit kommen wir endlich in den Bereich, der auch im professionellen Schriftsatz Verwendung findet. Aber selbst hier gilt: Weniger ist mehr.
Betonungen einzelner Wörter oder kurzer Passagen lassen sich sehr gut durch Kursivsetzung darstellen – aber bitte nur, wenn sich diese Betonung nicht von selbst ergibt. Eventuell können auch bestimmte Konventionen eingeführt werden, bei denen kursivgestellte Texte eine besondere Bedeutung haben, zum Beispiel Zitate oder (im Fall von Romanen oder Erzählungen) wörtlich zitierte Gedankengänge. Das kann sinnvoll sein, wenn der Leser durch diese Formatierung Informationen erhält, die aus dem Text ansonsten nicht hervorgehen.
Fettstellungen heben sich aus dem Schriftbild heraus, sie fallen beim ersten Blick auf den Text ins Auge. Das kann sinnvoll sein, wenn es sich zum Beispiel um Stichworte handelt, nach denen der Text abgesucht wird, etwa in einem Sachtext, der eine lexikalische Funktion erfüllt. Ob die Fettstellung einzelner Worte als Betonung in einem Textzusammenhang sinnvoll ist, hängt vom Einzelfall ab: Hier muss zwischen dem Nachteil eines gestörten Leseflusses und der gewünschten deutlichen Hervorhebung abgewogen werden.
GROSSBUCHSTABEN zerstören jeglichen Lesefluss, denn sie sind von ihrem Schriftbild nicht dafür gedacht, schnell mitgelesen zu werden. Also sollten auch sie möglichst umgangen werden. (Bei Mails werden Texte in Großbuchstaben mitunter als "geschrien" interpretiert, und weil sich kaum jemand gerne anschreien lässt, gilt diese Formatierung meistens als unhöflich.)
In älteren Texten gibt es auch noch die S p e r r u n g, in der Worte dadurch hervorgehoben werden, dass zwischen allen Buchstaben kleine Zwischenräume eingefügt werden, aber diese Methode ist heute weitgehend ungebräuchlich.
In handschriftlichen Texten, die ja nicht über kursive oder fette Buchstaben verfügen, ist die Unterstreichung die wichtigste Form der Hervorhebung und Betonung eines Wortes. In gedruckten Texten zerstört sie jedoch ebenfalls das Schriftbild, selbst bei Überschriften ist sie nicht mehr üblich.
Wohlgemerkt gelten die hier gemachten Aussagen für Fließtexte, die am Stück durchgelesen werden. Auf Plakaten, Prospekten, Visitenkarten etc. kann es ganz anders aussehen, denn hier geht es nicht darum, dass der Lesefluss erhalten bleiben muss, sondern darum, den Blick der Passanten einzufangen. Auch Überschriften und Stichpunkte können durch passende Formatierung gerne hervorgehoben werden.
Das Phänomen der Betonung durch Anführungszeichen ist wiederum eines, das vor allem auf Prospekten und Schildern beobachtet werden kann. Auch das ruft bei vielen Lesern Befremdung hervor, denn es ist zwar möglich, einzelne Worte durch Anführungszeichen hervorzuheben (vor allem Namen, Titel und Bezeichnungen), aber meistens erhalten sie die Bedeutung eines "sogenannt". Wenn also ein Gemüsehändler damit wirbt, all seine Ware sei "frisch", dann will er die Frische besonders betonen, aber es klingt nach sogenannter Frische – und was auch immer man sich darunter vorstellen möchte, appetitlich ist es nicht.
In der Regel gibt es drei Gründe, warum jemand eine Textstelle hervorgehoben möchte, sei es durch Satzzeichen oder durch Formatierung. Der erste davon ist der Tusch, von dem oben die Rede war. Vermutlich müssen wir ihn dem Einfluss großer Boulevard-Zeitungen zuschreiben, die ihrer Leserschaft durch ein optisches Signal die Wichtigkeit bestimmter Worte um die Ohren schlagen wollen, damit auch der letzte Depp die Botschaft versteht.
Grund Nummer zwei ist eine Variante des Tuschs, und sie bringt den Verfasser in den Verdacht eines mangelnden Selbstbewusstseins: Offensichtlich fürchtet er, dass sein Text nicht genug Aussagekraft hat, also muss er zu irgendwelchen Zaubermittelchen greifen, um die Aussagekraft zu verstärken. Aber in der Regel bemerkt jeder Leser, ob eine Aussage wichtig ist oder Stoff zum Weiterdenken bietet. Ist das nicht so, dann stimmt etwas mit den Formulierungen nicht – falsch verwendete Satzzeichen sind nicht der richtige Weg, diesen Mangel zu beheben.
Nur wenn es keine Möglichkeit gibt, bestimmte Informationen auf andere Weise zu transportieren (zum Beispiel ungewöhnliche Betonungen in wörtlicher Rede), kann guten Gewissens zu entsprechender Formatierung gegriffen werden. Ein Beispiel: "Bist du sicher?" klingt anders als "Bist du sicher?".
Wie Sie sehen, plädiere ich für eine sehr sparsame Verwendung von Hervorhebungen. Lesen Sie sich Ihre Texte kritisch durch und überlegen Sie, welche Hervorhebungen wirklich nötig sind und ob der Text an Aussage verliert oder Sinnzusammenhänge verschwimmen, wenn Sie darauf verzichten.
Ebenso wie man bei einer Homepage auf allzu viele schrille Farben oder wild wimmelnde Figürchen verzichten sollte und in einem geschriebenen Text nicht jedes Substantiv mit zwei oder mehr Adjektiven ausstatten muss, ist eine gezielte und intelligente Verwendung von Hervorhebungen viel wirksamer, als den Text damit zu überlasten.